Ernst Jüngel - Die Mauer ist weg

Vincent van Eijnoor - Blick über den Tellerrand 
Die Mauer ist weg, ist verschwunden!
War eben noch da!
Sie war uns doch Stütze.
Wie soll'n wir gesunden?
Wir kranken an dem, was wir sah'n:
Freies Feld ohne Grenzen, die ganz große Leere;
Und Menschen, die eben noch Flüchtlinge waren,
entschwunden dem tödlichen Meere,
woll'n plötzlich gleich sein mit mir
und mit dir und mit allen Weißen.
Sie werden uns Gute bescheißen,
die leichtgläubig freigiebig sind.
Die sich nicht wehren!
Die friedlich ihr Leben leben
und alles für Fremdlinge geben,
welche brabbeln und gestikulieren,
dass wir die Kontrolle verlieren,
über das, was uns Goldes wert,
den eigenen Herd,
und den Großbildfernseher,
die Frau, das Kind und das Auto mit Allradantrieb.
Der Fremde, er schleicht wie ein Dieb,
macht große Augen, sein Lächeln ist schief,
will das Herz uns zerreißen,
das unermüdlich pumpt und pocht in jedem Weißen,
in jedem Guten, in jedem Menschen mit Anstand,
der arbeitet und schuftet mit eigener Hand,
nicht spekuliert
auf Almosen und Hartz vier.
Wir,
wir sind das Volk, wir sind im Recht!
Jetzt her mit der Mauer!
Es war doch nicht alles schlecht.