Tonnes Tagebuch: Handygestützte Hundeführerin und matschige Zucchini


Liebes Tagebuch!

Heute fuhr ich mit dem Fahrrad so vor mich hin und es kam mir ein junges Mädchen mit zwei
Hunden entgegen, die nur schwer zu zügeln waren, denn das junge Mädchen blickte auf ihr Handy, das sie in der rechten Hand hielt. Mit der linken versuchte sie, die Hunde kurz zu halten und an den Straßenrand zu zwingen, damit diese mich als Radfahrer wohl nicht vom Sattel holen sollten. Mir fiel ein, dass das Wort zügeln  eher für Pferde gebräuchlich ist und bei Hunden, deren Anfang und Ende aufgrund der Wuselig- und Zotteligkeit ihrer Behaarung nicht sofort  ermitteln kann, eher unangebracht ist. Ich vermutete den Kopf der Hunde da, wo das kürzere Hundestück hinter dem Leinenansatz zu sehen war und drückte mich entsprechend tief in den Sattel, um auf meinem, wie man lustigerweise sagt, Drahtesel sicher davongaloppieren zu können, falls das Handyfräulein vollends die Kontrolle verlieren würde.
Ich dachte darüber nach, was auf dem Handy wohl von der herbstlichen Szene ablenken könnte? Hier die Sonne, die frische Luft, der blaue Himmel, das bunte Laub und die verzottelten Hunde ohne Anfang und Ende, und dort ein kleiner Kasten mit ein paar Mikrochips. Vielleicht war sie gerade am Liken oder Chatten oder einer ähnlich bedeutenden Aufgabe im Rahmen der smartphonen Möglichkeiten, oder aber sie suchte nach einer APP, etwa mit dem Titel „Die perfekte Hundeführerin“, „Den Anfang bei Hunden finden“, oder „Gassigehen handygestützt“. Vielleicht war sie auch im Dogchat, wo sich Hundeführer unterhalten und Tipps geben, wie man Exkremente mit dem Plastiktütchen am effektivsten entfernt. Welch warmes Gefühl muss es sein, wenn der sozial kompetente Gassigeher in den Beutel greift, denn  die Empfindung wird ja auch durch die Größe des Hundes beeinflusst.

Eben war ich noch in einem Fachgeschäft für Kleintierbedarf und -futter gewesen, dem Fressnapf, und hatte dort, wie die Fachkraft es nannte, in der Vögelecke über Berufsaussichten für Fachkräfte im Kleintierbedarf- und Futtermitteleinzelhandel gesprochen. Bei dem Wort Vögelecke hatte die Dame um die dreißig merkwürdig gekichert, oder besser gegickelt, so als wenn ein Hamster über einen Katzenwitz lacht. In der Vögelecke waren wirklich eine Reihe Vögel in einer Voliere aus Glas und machte einen enormen Lärm, sodass sich die Ecke eigentlich wenig für ein Gespräch eignete. Allerdings regte sie auch nicht zu anderen Tätigkeiten an, einmal aufgrund des durchdringenden Vogelgeplappers und zum anderen, weil der Laden olfaktorisch unter würzigriechenden Läden eine Spitzenposition einnehmen würde.

Nachdem ich mich von der handygestützten Hundeführerin entfernt hatte, die bestimmt gottgefällig war, weil sie in dieser Demuts- und Gebetshaltung, den Kopf gesenkt, zwei Mitgeschöpfe an die frische Luft brachte,  traf ich auf eine Gruppe Grundschulkinder, die mit ihrer Lehrerin buntes Herbstlaub sammelte. Das taten die Schüler in der Nähe eines Flüchtlingsheimes, das hinter den sich entlaubenden Bäumen momentan noch versteckt lag. Es drängte sich mir der Gedanke auf, dass sich die Gruppe wohl unauffällig an das Flüchtlingsheim bewegen wollte, um einmal, wie es die heutige Pädagogik vorsieht, lebensnah Erfahrungen zu machen und nicht nur aus den Medien mit Informationen gespeist zu werden. Ein echten Flüchtling zu sehen, ohne ihn natürlich anzufassen, wäre schon ein Ereignis, über das es sich am Mittagessen der Mutter zu erzählen lohnte und auf jeden Fall spannender, als das kleine Einmaleins mit sieben. Allerdings sind Flüchtlingslager in der Regel abgeschottet, sodass man eher von einem Getto sprechen kann, was wohl dem Schutz der Flüchtlinge dienen soll. Mir fiel dann ein, ob die enttäuschten Grundschulkinder nicht ersatzweise einen Gettoblaster betrachten und vielleicht sogar anfassen könnten, und ob dieses Gerät nicht eine genauso unnütze Sache ist, wie etwa der Laubbläser, mit dem man das Herbstlaub in die Nachbarsgärten blasen, oder auf seinem Grundstück gleichmäßig verteilen kann.

Gettoblaster und Getto schreibt man heutzutage ohne h hinter dem G, genau wie Spaghetti, wohl um Menschen entgegenzukommen, die zu faul sind, unbequeme Schreibweisen auswändig zu lernen oder generell unter einer Rechtschreibschwäche leiden. Ob sie Getto oder Spagetti in der vereinfachten Schreibung ohne Fehler hinbekommen, ist bislang nicht belegt. Ohne h spricht man Ghetto wie Dschetto und Spaghetti wie Spadschetti aus, denn die Wörter kommen wohl aus dem Italienischen. Es gibt ja auch Leute, die im Gegenzug Zutschini statt Zucchini sagen, weil sie die gurkige Frucht zu lange garen, sodass sie eine matschige Konsistenz annimmt.

Es ist schon wundersam, liebes Tagebuch, dass man von einem Flüchtlingslager auf matschige Zucchini kommt, eigentlich sogar von einer handygestützten Hundeführerin aus, und ich frage mich, ob ich mir Gedanken machen muss. Ach, eigentlich denke ich sowieso schon zu viel und der Tag hat ja noch ein paar Stunden, in denen vielleicht nichts passiert, über das ich nachdenken kann.