Günter Krass - Die Rättin

Zu Weihnachten eine Ratte, das war mein Wunsch, ich wusste nicht Recht ob ich sie als Spielgefährten oder als leckere Vorspeise haben wollte, und indem ich es dachte, drängte sich mir gleichzeitig auf, dass es sich um eine Rättin handeln sollte, nicht nur wegen ihres zarteren Fleisches, sondern weil, wenn nicht als Speise genossen, ich mir vorstellte, dass sie anschmiegsamer sei.
Kurz musste ich eingenickt sein, denn mir träumte, ich hielte ein in heller Sauce geschmortes schönes und schlankes Exemplar in Händen und drückte es mir an die Wange, so als wollte ich alles: Die Speise und Spielgefährtin.
Ich schreckte auf, öffnete die Augen und spürte mein Herz pochen. Wie absurd, ein Wort, das bereits mit weiblichem Artikel stand, noch einmal zu verweiblichen. Und wie nahe das Wort verweichlichen lauerte. Die Rättin als die verweichlichte Form der Ratte, die doch sowieso schon weiblich ist.
Der Ratte. Das ist Genitiv. Rattus. Das Lateinische war hilfreich. Ratta. Die Rättin? Gab es das?
Ich war verwirrt und beschloss, lieber über meine nördliche Pfütze zu schreiben. Das Steinhuder Meer. Vielleicht auch den Dümmer See. Dümmer. Das war so ein schöner Komparativ.
Wenn man rattig steigerte, käme ein "Rattiger" heraus. Und wenn diese Katze nicht täglich ihr Kreuzworträtsel löste, dann müsste man das Wort mit drei t schreiben. Katzen lösen keine Rätsel. Ratttiger.
Ach, die Welt war unüberschaubar. Am einen Ufer des Dümmers konnte ich das andere sehen. Der Dümmer war überschaubar, und wegen seiner Überschaubarkeit liebte ich ihn. Das war nicht dumm.