Pädagogentagebuch: Urinale evaluieren

Liebes Tagebuch!
Ob ich fehle, wenn ich irgendwann weg bin? Wie schnell sind Lücken, wenn man eine hinterlässt, zugekippt, zugeschmiert, zugewachsen. Denk an Löcher im Rasen - wie schnell sind sie wieder grün; im günstigsten Fall vertritt man sich den Fuß an dem nicht mehr sichtbaren Loch, oder der Mähroboter bleibt stehen, weil die Räder in der Luft drehen, so als wollte er deiner gedenken. Ich frage mich, ob Mähroboter überhaupt zur Andacht fähig sind und wohin steuert die Menschheit, wenn sie die ihr eigenen Qualitäten Maschinen überlassen will. Jeder ist ersetzbar. Auch der Mähroboter. 

Du denkst, der Laden kommt ohne dich nicht aus, aber in Wirklichkeit ist es umgekehrt. 

Der Fahrstuhl kriegt die Tür nicht mehr schnell genug auf. Der Hausmeister meint, es sei Zeit zu gehen, und der muss es ja wissen. Neulich im Zielstockwerk bin ich gleich wieder runtergefahren und stand dann im Keller vor einer Putzfrau mit ihrem Arbeitswagen, die wohl auch nach oben wollte, mich aber runtergeholt hatte. Ich wollte eigentlich oben aussteigen, sagte ich ihr, und sie entschuldigte sich. Ich ließ sie stehen, denn Platz war nur für sie in der Kabine, nicht aber für ihren Putzwagen, und erreichte endlich mein Ziel. 

Die Unterrichtsstunde hatte ohne mich begonnen. Das hatte zwar nicht geschadet, aber gelernt hatte auch keiner etwas. Das nennt man seit ein paar Jahren Qualitätssicherung. Wenn der Schüler nach der Stunde nicht dümmer geworden ist, dann ist sein Wissen gesichert. Wenn der Unterricht das schafft, dann ist er von guter Qualität. Qualitätssicherung.

Wer wird wohl auf meinem Platz sitzen, wenn ich weg bin. Ich sitze seit fast 20 Jahren immer auf dem selben Platz. Eigentlich gibt es keine festen Plätze im Lehrerzimmer, nur Lehrkräfte, die immer auf dem selben Stuhle hocken, als wollten sie etwas ausbrüten. 
Mich stört das nicht, solange niemand auf meinem Stuhl sitzt. Dann trete ich immer ganz nahe an die Sitzende - wir haben ja viel mehr Frauen im Kollegium, sodass es wahrscheinlicher ist, dass eine weibliche Lehrkraft den Stuhl okkupiert hat - und fange an, über ihre Schulter oder ihren Kopf weg mein Butterbrot oder einen Post-it-Zettel an mich zu nehmen, ein Schulbuch, das dort liegt, oder ein Heft, das ich eigentlich noch korrigieren müsste, oder ein Dodekaeder, das der Kollege Haschke dort platziert hat, um seinen eigenen Platz zu markieren. Die Fehlsitzende erklärt dann irgendwann, sie stünde gleich auf, sie müsse das Gespräch noch beenden, was aber in einer Schule in der Regel nicht passiert, vielmehr laufen mehrere Gespräch gleichzeitig, die aber nicht beendet werden.

Beim Pinkeln habe ich überlegt, dass man die Benutzung der drei Urinale auf dem Herrenklo evaluieren könnte, das wäre mal was Sinnvolles. Dazu drei Säulendiagramme vielleicht in unterschiedlichen Gelbtönen.

Nach dem Händewaschen auf Schweinegrippenart versuche ich zwei Papiertücher zu nehmen. Der Behälter ist aber so vollgestopft, dass ein Drittel des Vorrats aus der Box kommt. Verschwendung.