Wendi Wimmers: Am Rad der Zeit

Gusti kannte die Metapher: Am Rad der Zeit drehen.
Kann man nicht, dachte sie spröde. Ist total daneben, total völlig sinnentleert.
Seit 30 Minuten stand sie vor der Kirche an der Linde und wartete auf ihr Blind Date.
Seit seit wann kommen denn Männer zu spät?, fragte sich Gusti und nestelte wütend am dritten Knopf von oben an ihrer Feindcordjacke.
Wütend nesteln....Gusti wusste, dass diese Metapher irgendwie hinkte, und das nahm sie der Autorin dieser Geschichte übel.
Sie musste hier warten und auch noch wütend nesteln!
Wüten. Sie könnte jetzt wüten. Aber das weiß so eine Schreiberline nicht. Wie Frauen fühlen, wenn man sie warten lässt.
Blind Date. Das war auch so was: Mauerblümchen, die keinen abgekriegt hatten, warteten auf Blind Dates.
Am Rad drehen. Das traf. Das hatte mit Zeit nichts zu tun. Da ging es darum, mal rauszulassen, sich mal auszukotzen, mit aller Macht, mal schreien, mal noch mehr schreien.
Dann sah Gusti den Hinkenden.
Er bog unbeholfen um die Ecke auf den Kirchplatz.
Er hatte einen langen, weißen Stock in der Hand.
Gusti erstarrte.
Gusti knirschte mit den Zähnen.
Richtig. Ein gelbe Binde am Arm.
Das Blind Date war da. Oder besser: Kam näher.
Gusti drehte am Knopf.
Gustis Finger lösten sich vom dritten Knopf von oben.
Am Rad drehen. Das Rad der Zeit zurückdrehen.
Zurück in die Zuknöpf! (Was schrieb die Tussi jetzt wieder?)
Zurück zum Mauerblümchen.
Manchmal ist es besser, wenn keiner kommt.
Metaphern sollte man nicht strapazieren.
Gusti schlich auf ihren Pumps Richtung Westflügel der Betanstalt.. Hinter sich das leise Kratzen eines weißen Stockes auf Kopfsteinpflaster.
Rad der Zeit dreht unermüdlich.