Günter Krass: Der Blechbommel

Mein Großvater hatte einen Blechbommel, der eines Tages beschlossen hatte nicht mehr zu wachsen.
Da ich ein neugieriger Enkel war, wollte ich wissen, was sich hinter dem Geheimnis des Blechbommels, der nicht mehr wachsen wollte, verbarg.
Wachsen denn Blechbommel überhaupt?, fragte ich meinen Großvater vollkommen unvorbereitet, und tat damit so, als sei der Blechbommel immer schon fester Bestandteil der Familiengeschichte gewesen, über den offen geredet wurde. In Wirklichkeit aber redete niemand über den Blechbommel. Bis zum Tag, als jener beschlossen hatte, nicht mehr zu wachsen.
Wachsen denn Blechbommel überhaupt?, fragte ich meinen Großvater, der einen Hut aus Metall in Händen hielt, auf dem oben eine rundliches Gefranse saß, das wohl seinerseits metallen zu sein schien.
Gute Frage, antwortete der Großvater nach einer geraumen Zeit, so, als habe er reichlich von dieser, was aber angesichts seines fortgeschrittenen Alters nicht stimmen konnte, betrachtete man es einmal statistisch.
Vor allem, fuhr er fort, sieht es so aus, als habe uns der Blechbommel all die Jahre getäuscht und ist gar nicht gewachsen. Mir will scheinen, dass er noch genauso klein ist wie damals, als ihn der Kaiser an meinen Blechhut steckte. Wahrscheinlich muss mir der Kaiser so riesig, so gigantisch vorgekommen sein, dass der Blechbommel im Verhältnis zu diesem verschwindend mickrig erschien. Auch kam mir mein Blechhut immer ein paar Nummern zu groß vor, was das Kleine des Bommels noch verstärkt haben musste.
Hm, sagte ich und offenbarte eine gewisse Ratlosigkeit.
Um deine Frage zu beantworten, hub der Großvater noch einmal an und betrachtete den Blechbommel von allen Seiten, indem er seinen Blechhut in den Händen drehte, nein.
Nein. Ein klares Nein. Wie konnten wir denn überhaupt davon ausgehen, dass Blechbommel wachsen? Nein, Enkel, Blechbommel wachsen nicht. Und damit kann er auch nicht beschließen, mit dem Wachsen aufzuhören. Basta.
Und überhaupt: Blechbommel zählen zu den überflüssigen Objekten, sodass sie überhaupt nicht beschlussfähig sind.
Damit war das Thema erledigt.
Ich aber dachte, dass der Blechbommel in Wirklichkeit mit jedem Jahr geschrumpft war, denn der Rost hatte sich seiner bemächtigt und fraß wie ein unermüdliches Nagetier der Zeit an ihm. Irgendwann würde er verschwunden sein.
Das sagte ich aber dem Großvater nicht, denn es hieß ja: Es geht nicht immer nach der Reihenfolge.