Notaufnahme

Gestern mal wieder in der Notaufnahme, als Angehöriger. Wir drücken den grün-leuchtenden Türöffner, um die  von zwei Damen besetzte Anmeldekabine zu betreten. Die Tür öffnet sich nicht. Abstand halten! steht auf einem Schild und Warten, bis sie hereingebeten werden! Oder so ähnlich.
Ich überlege, wie ich deutlich mache, dass ich eintreten möchte, und ziehe mein Ich-möchte-eintreten-aber die Tür-geht-nicht-auf-Gesicht auf. Innen wird ein Knopf gedrückt und das Sesam öffnet sich. Mein Gesicht hat gewirkt.
Wir wollten fragen, wo sich Frau nennen wir sie Henningmeier befindet.
Ich schaue mal, setzen Sie sich ruhig.
Wir setzen uns vor die Glasschiebetür und warten. Die Dame kehrt zurück, ist betriebsam und hat scheinbar Schichtwechsel, packt ihre Sachen und verschwindet in der Raucherzone oder im Sozialraum, kehrt kurz darauf mit einem Rucksack zurück, geht an uns vorbei. Sagt aber nichts. Aha. Sie hat geschaut, aber nicht versprochen etwas zu sagen.
Vorher hatte sie die Anmeldung an die Kollegin übergeben, die nach eigener Aussage "pünktlich" war und auf ihre Armbanduhr deutete. Wir starren auf den grün-leuchtenden Türöffner, und welche Funktion er hat. Vielleicht die, den Insassen in der Anmeldekabine die Gelegenheit zu geben: Warten Sie bitte, bis Sie hereingebeten werden! zu sagen.
Die neue Kollegin kramt etwas in den Unterlagen herum. Schiebt etwas von links nach rechts und auf die Bank.
Wir warten, aber es passiert nichts. Der leuchtend-grüne Türöffner leuchtet immer noch grün.Vielleicht hat sie die Notiz nicht entdeckt, auf der steht: Nach Frau Henningmeier schauen.
Ich gehe doch auf Nummer Sicher, man weiß nie, wie qualifiziert Menschen an der Anmeldung sind und wie sie die Botschaft auf dem möglicherweise vorhandenen Notizzettel interpretieren. Ich frage noch einmal: Wir würden gern wissen, wo sich Frau Henningmeier befindet.
Bleiben Sie ruhig sitzen, ich habe Sie im Blick.
Aha, sie weiß schon, dass wir warten. Allerdings warten hier alle. Worin unterscheiden wir uns von den anderen?
Wir sitzen genau gegenüber der Anmeldekabine, da hat sie uns gut im Blick. Zwischendurch fixiere ich sie, damit sie Blickkontakt aufnehmen kann. Ihr Blick schweift umher.
Plötzlich tritt eine Dame aus dem Raum neben der Anmeldekabine heraus: Gehen Sie bitte hinter die Glaswand, damit der Platz für die Anmeldung frei bleibt.
Die Glaswand ist mit Streifen blickdicht gemacht worden.
Wie will uns Dame 1 im Blick behalten, wenn sie uns nicht sieht?
Bevor wir in den Warteglaskasten gehen, äußert sich Dame 1: Wie war noch mal der Name? Hülsmann? Hülsenfrucht wollen wir antworten, aber der Ernst der Lage lässt das nicht zu. Henningmeier. Frau. Ah, genau. Die ist noch in der Diagnostik. Sie werden aufgerufen. Ich habe das im Blick.
Wir setzen uns. Hier gibt es Wasser und Becher. Hier kann man in alten Prospekten und Zeitungen wie Bunte, Gala und OK blättern. Das kann man nicht lange aushalten.
Ich stehen auf und wandere auf und ab, den Gang entlang zurück, blicke in die Anmeldekabine, um im Blick zu bleiben. Wir warten. Nach drei Stunden dreißig wiederhole ich die Im-Blick-bleiben-Aktion.
Es kommt etwas Leben in Dame 1: Ah, Sie habe ich doch schon mal gesehen. Etwas mit Hülse. Sie warten hier? Nein, will ich  lieber antworten, ich blättere hier täglich in den abgelegten Zeitungen, besonders die aufgespritzten Frauen in OK und Gala und in der Bunten interessieren mich. Haben Sie einen Spiegel da? Ich lasse es lieber.
Dame 1 blättert in den Unterlagen und schreibt einen Zettel: K02. Wissen Sie wo das ist? Sie bringt mich in die lange Gasse. Immer gerade aus, dann rechts, dann links, dann sind die da, melden Sie sich an der Anmeldung. Wie lange ist Fraiu Henningmeier schon dort?, frage ich, um heruaszuhören, wie lange ich grundlos gewartet habe. Dame 1 überhört diese Frage auffällig, aber ich frage nicht noch mal nach.
Ich denke ein letztes Mal über den leuchtend-grünen Türöffner nach, der keiner ist, der aber auch rot kann. Und dann ist die Tür richtig zu. Vielleicht gibt es an der nächsten Anmeldung keine Tür und auch keinen grün-leuchtenden Knopf. Und: Hoffentlich vergesse ich bei der nächsten Bahnfahrt nicht, den grün-leuchtenden Knopf zu drücken, um auszusteigen.
Auf dem Weg durch die lange Gasse denke ich: Es könnte lustig sein, wenn es nicht traurig wäre.

Georg Krakl - Gedicht mit Schleim drin

Wenn die Schnecke unterm Körper reichlich Schleim hat,
entwickelt sie ein Wohlgefühl von Heimat.

Auch der Vers, der einen Reim,
und das Korn, das einen Keim,
und der Alte, der ein Heim,
ja, der Populist, der seinen Leim hat,
alles Heimat.






Kinder-Andi macht

Bundesverkehrtminister Andreas Scheuer, genannt Andi B.Scheuert, moniert, dass der Titel "Kinder-Andi macht..." von Herbert Gröhlemeyer nicht ihn meine, sondern Kinder gemeint seien, die die Regierung, weil ihr IQ höher anzusetzen sei, die Macht übernehmen sollten. Kinder-Andi macht - das sei absurd, denn er mache ja nichts. Und Kinder an die Macht! zu grölen sei eine Provokation.
So ist alles wieder im Lot. Andreas Scheuer macht nichts, was ja besser ist, als wenn er etwas macht. Und Kinder an die Macht zu singen, ist nach wie vor eine Provokation. Macht ja nix.

Anmerkung der Redaktion: Der Konjunktiv I war dem Minister nicht bekannt. Seine irgendwie direkte Rede("Ich bin doch nicht B.Scheuert!") wurde aus redaktionellen Gründen in den Konjunktiv I, also die indirekte Rede übertragen.

Hunde und Windelsäcke

Liebes Tagebuch!
Heute morgen bin ich mit dem Auto unterwegs gewesen und an einer recht belebten Straße sehe ich einen mittelgroßen, braunen Hund und sein Herrchen, das diesen an der Leine herumführt, bzw. versucht, sich von seinem Hund nicht herumführen oder -zerren zu lassen.
Zwischen den beiden, die wohl zu einer Runde Gassigehen aufgebrochen sind und die dem Hund die Möglichkeit zur Blasen- und Darmentleerung geben soll und dem Herrchen wohl als Bewegungsprogramm zur Erhaltung der Lebensqualität dient, gemäß dem Motto "Gegen Morbidität und Mortalität", liegt ein rosafarbener Sack, in dem sich normalerweise, wie auch an diesem Vormittag, Kinderwindeln befinden, den die Müllabfuhr mit einem Sonderkommando später zusammen mit allen anderen rosa Säcken am Wegesrand beseitigen wird.
Der Hund nun springt und hüpft förmlich um den Sack herum, wedelt mit dem Schwanz und versucht, die Nase in das Plastikzeug zu stecken, vielleicht weil der den Geruch von Bübchen Kinderhinterncreme und den plattgewalzten oder -gesessenen Verdauungsergebnissen liebt, vielleicht aber auch in den Hinterlassenschaften seinen geliebten oder verhassten Spielkameraden wiederkennt, der nicht einmal ein Spiel richtig beherrscht, sondern ihm ständig in die feuchte Nase greift, weil er das lustig findet.
Scheiße, denke ich, was ist mit Deutschlands Hunden los? Und mir fällt sofort dieser altbekannte Filmtitel "Hunde wollt ihr ewig bellen?"ein, der so oder so ähnlich lautete, denn der Hund hüpft nicht nur, sondern bellt auch noch. Der Hund ist aus dem Häuschen, im übertragenen Sinn, realiter sowieso, denn er wird ja Gassi gegangen.
Was mag ein Tier an Kinderkacke finden?
Da ich mit etwa 60 Stundenkilometern unterwegs bin, liegt die Szene schnell hinter mir. Als ich zu Hause ankomme, rufe ich über die Tagesschau-App die neusten Meldungen auf und ich werde informiert, dass Björn Höcke per Gerichtsentscheid "Faschist" genannt werden darf. Mich wundert kurz, dass solche ein Frage überhaupt im Raum gestanden hat. Jemand, der sich faschistische  Ziele zueigen gemacht hat, wird wohl Faschist genannt werden dürfen, genau wie jemand, der demokratische Ziele hat, Demokrat genannt werden kann, ohne dass er sich gleich beleidigt fühlt.
Beim Wort Faschist muss ich unwillkürlich an die Kinderkacke in den rosa Beuteln denken, vor der ein mittelgroßer, brauner, deutscher Hund aus dem Häuschen ist und sein Herrchen ihn nicht korrigierend an die Leine nimmt. Wie lange willst du bellen, Hund?, variiere ich den Filmtitel und erkenne, dass alles zusammenhängt: braun, deutsch, Kinderkacke, Faschist, bellen, nicht korrigiert werden, Höcke, Sonderkommando der Müllabfuhr. Nur das Rosa passt nicht in die Reihe.
Der Hund ist ein Herrentier, denn er hat ein Herrchen. Das Herrchen ist umweltbewusst und benutzt einen schwarzen Kotbeutel, um die Hinterlassenschaft des Hundes, der durch die Aufregung, die der rosa Sack verursacht hat, forciert verdaut. Schwarz ist die Farbe der Faschisten. Schwarz ist keine Farbe. Schwarz gibt es nicht in der Natur, wie unser Kunstlehrer immer zu sagen geruhte. Geglaubt habe ich ihm das damals schon nicht.
Ich entscheide, mich noch einmal aufs Ohr zu legen und das Erlebte ganz kurz zu überschlafen.
Melde mich morgen wieder!
Bis dahin,
dein Tonne