Nyltesthemden gab es auch in anderen Farben. Mein Nyltesthemd, an das ich mich erinnern kann, obwohl ich mehrere davon gehabt haben muss, war hintergründig maschinenblau mit weißen quadratischen Rahmen. Nyltesthemden vergällten mir die Freude, überhaupt ein Hemd zu tragen. Ich wollte Baumwolle, auch wenn man das bügeln musste, und man war die Mutter. Die hatte die Zeit und das Knowhow. Mir waren schon vorher ein oder zwei Exemplare aufgezwungen worden, gegen die ich mich beharrlich zu wehren versuchte. Aber gekauft hieß auch: Tragen! Das maschinenblaue mit den weißen Quadratrahmen schenkte mir der bäuerliche Haushalt der Schäfers zur Konfirmation. Daneben gab es von anderen Handtücher mit Monogramm, Taschentücher, Socken und was man sonst als junger Mensch nicht selber kaufen würde. Ich wollte kein Nyltesthemd. Wenn es kalt war, fror man darin, wenn es heiß war, klebte es auf der Haut. Der Tragekomfort ging gegen null, der Pflegekomfort gegen unendlich. Ich musste es tragen, die Mutter musste es pflegen. Das führte zunehmend zu einer Entzweiung, was oberflächlich als pubertäres Gehabe, als Widerborstigkeit ohne Grund oder als Begleiterscheinung gymnasialer Einflüsse gedeutet wurde, als eine Art Rebellion, die man sanft aber beharrlich niederdrücken wollte, wenn es sein musste mit einem Nyltesthemd. Das musste getragen werden; es nicht zu tragen, wäre Verschwendung gewesen. Verschwendung ist aber gerade zur Konfirmationszeit Sünde. Der älteren Generation war das Nyltesthemd Medium zur Unterdrückung, für mich der Impuls zur Befreiung. Nicht Rebellion, nein Revolution! Ich fiel anschließend vom Glauben, lernte Flügelhorn im Posaunenchor, ließ mir die Haare wachsen und kaufte von meinen Ersparnisse eine Gitarre der Marke Framus, für die 80 DM, eine ungeheure Summe, hinblätterte und wurde ein neuer Mensch. Alles gegen den Willen meiner Eltern.
Bodos Welt mischt sich ein. Für Minden und die ganze Welt. Bodos Welt bleibt stehen, wo andere weitergehen. Bodos Welt geht weiter, wo andere stehen bleiben. Parteiisch. Übernatürlich. Unablässig. Erscheint täglich. Unaufhörlich.Unhöflich.
Günter Krass - Erinnerungen: Mein Nyltesthemd
Nyltesthemden gab es auch in anderen Farben. Mein Nyltesthemd, an das ich mich erinnern kann, obwohl ich mehrere davon gehabt haben muss, war hintergründig maschinenblau mit weißen quadratischen Rahmen. Nyltesthemden vergällten mir die Freude, überhaupt ein Hemd zu tragen. Ich wollte Baumwolle, auch wenn man das bügeln musste, und man war die Mutter. Die hatte die Zeit und das Knowhow. Mir waren schon vorher ein oder zwei Exemplare aufgezwungen worden, gegen die ich mich beharrlich zu wehren versuchte. Aber gekauft hieß auch: Tragen! Das maschinenblaue mit den weißen Quadratrahmen schenkte mir der bäuerliche Haushalt der Schäfers zur Konfirmation. Daneben gab es von anderen Handtücher mit Monogramm, Taschentücher, Socken und was man sonst als junger Mensch nicht selber kaufen würde. Ich wollte kein Nyltesthemd. Wenn es kalt war, fror man darin, wenn es heiß war, klebte es auf der Haut. Der Tragekomfort ging gegen null, der Pflegekomfort gegen unendlich. Ich musste es tragen, die Mutter musste es pflegen. Das führte zunehmend zu einer Entzweiung, was oberflächlich als pubertäres Gehabe, als Widerborstigkeit ohne Grund oder als Begleiterscheinung gymnasialer Einflüsse gedeutet wurde, als eine Art Rebellion, die man sanft aber beharrlich niederdrücken wollte, wenn es sein musste mit einem Nyltesthemd. Das musste getragen werden; es nicht zu tragen, wäre Verschwendung gewesen. Verschwendung ist aber gerade zur Konfirmationszeit Sünde. Der älteren Generation war das Nyltesthemd Medium zur Unterdrückung, für mich der Impuls zur Befreiung. Nicht Rebellion, nein Revolution! Ich fiel anschließend vom Glauben, lernte Flügelhorn im Posaunenchor, ließ mir die Haare wachsen und kaufte von meinen Ersparnisse eine Gitarre der Marke Framus, für die 80 DM, eine ungeheure Summe, hinblätterte und wurde ein neuer Mensch. Alles gegen den Willen meiner Eltern.